mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Orkus 03/2010', Interviewer:'Björn Springorum', about: 'R.E.T.R.O', Date: 2010-03-01
 
Link: Orkus 03/2010
 
'Ich kann mor absolut jede Kritik dazu vorstellen'

Klobig animierte Figuren hüpfen durch graue Hintergründe und erledigen simple Aufgaben. Dazu das monotone Fiepsen, Dröhnen und Klimpern von schrillen 8-Bit-Sounds. Ja, es gab sie wirklich: die Zeit vor ultrarealistischen PC-Shootern, welche heutzutage mit sündhaft schön animierten Landschaften und filmreifen Soundtracks aufwarten. Doch auch anno 2010 genießen die Games aus der C64-Ära geradezu religiösen Kultstatus bei vielen Kindern der Achtziger. Eines von ihnen ist mind.in.a.box-Tüftler Stefan Poiss, der sich mit RE T.R.O einen Jugendtraum erfüllt hat: In typischer Manier der österreichischen Science Fiction-Elektroniker werden die kultigen Retrosounds der Konsolenspiele zum Leben erweckt mit modernen Mitteln und viel kindlicher Nostalgie. Wir tauchen ein in die 8-Bit-Wunderwelt der Vergangenheit.
 
Das gesamte Schaffen von mind.in.a.box drehte sich bisher um die faszinierende 'Lost Alone'-Trilogie. War es schwer, nach dem Abschluss dieser Saga musikalisch und konzeptionell weiterzumachen?
Stev: Die Arbeiten an unserem nächsten, regulären mind.in.a.box 'story-telling' Album sind parallel zu R.E.T.R.O vonstatten gegangen und dauern noch an. Nach Crossroads beschlossen wir, auch mit dem 'mind.in.a.box goes live' Projekt zu starten, und ich hatte zwischen Crossroads und dem R.E.T.R.O Release soviel zu tun wie eigentlich noch nie. Ich kann erst jetzt wieder so langsam verschnaufen. Ich habe auch an einem deutschsprachigen Nebenprojekt namens 'LOOMEC' gearbeitet, woraus ebenso ein ganzes Album entstanden ist, aber noch nicht sicher ist, wie es veröffentlicht werden soll. Im übrigen ist unsere mind.in.a.box Saga nicht abgeschlossen, es wird hier auf dem nächsten Album weitergehen. ϑ Um zu R.E.T.R.O zu kommen: Ich hörte mir eines Tages wieder einmal alte SID-Files an, das sind Musik Dateien mit Commodore 64 Musik, und stellte fest, dass mich diese Melodien von damals noch immer ungemein berühren. So begann ich, aus einer Laune heraus mit meinem ersten Remix von 'Last Ninja 3'. Danach kam 'Lightforce' an die Reihe, und dann dachten wir, warum wir nicht gleich auch ein Album dieser Art machen sollten. Ich mache zwar doch hin und wieder die ein oder andere kürzere musikalische Pause, aber im Prinzip läßt mich die Musik nie los.
 
Dieses vierte Werk überrascht mit der Vertonung alter Spielemelodien. Bedeuten dir die Konsolenspiele dieser Ära also derart viel? Oder fandest du es schlicht reizvoll, diese Retrosounds angemessen aufzufrischen?
Stev: Sie bedeuten mir wirklich sehr viel. Da stecken so viele Emotionen alter Zeiten drin, dass für mich die Arbeit an R.E.T.R.O quasi eine Art Vergangenheitsbewältigung darstellte. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, als Markus und ich zum ersten Mal mit weit aufgerissenen Augen dieses 'Last Ninja 3' Intro sahen und diese unglaublich kraftvolle Melodie zu hören war. Damals war für mich schwer zu glauben, was man aus dem alten Brotkasten, dem C64, herausholen konnte. Oder die Musik von Rob Hubbard, dem wohl besten C64 Musiker, den es gab. Ich war damals etwa 11 oder 12 Jahre alt, und meine eigenen Kompositionen waren dementsprechend bescheiden. Jetzt, viele Jahre später, wollte ich versuchen diese Musik, wie du meinst, aufzufrischen und sie in ein modernes Gewand zu packen. Es war eine Herausforderung, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Diese Melodien zu analysieren und neu umzusetzen, aber auch den großartigen Künstlern von damals damit meinen Respekt zu zollen.
 
Wo liegt für einen elektronischen Soundtüftler wie dich der Reiz, diese alten Klänge zu entstauben?
Stev: Es gibt sehr viele Remixe und Coverversionen von alten C64 Tracks, aber ich konnte mit dem Sound vieler dieser Neubearbeitungen nie viel anfangen. Ich wollte sie cool und mit viel Kraft klingen lassen, und sie zugleich futuristisch und in ihrer elektronischen Art belassen. Damals hatte man nur 3 Stimmen zur Verfügung, und es war unglaublich was talentierte Leute daraus machen konnten. Heute gibt es im wesentlichen keinerlei technischen musikalischen Begrenzungen mehr, und mein Ziel war es, diese grandiosen Tracks von damals mit heutigen Mitteln wiederzubeleben. Ich wollte sie neu aufbereiten, aber ihren damaligen Charme und Charakter sollten sie dabei beibehalten.
 
Wann kam dir erstmals die reizvolle Idee, die 8-Bit-Spielesounds deiner Jugend in ein m.i.a.b-Gewand umzuwandeln und was hat schlussendlich den Ausschlag dazu gegeben, ein ganzes Album daraus zu machen?
Stev: Als die ersten Covers, und auch der Song '8 Bits', fertig waren, war uns schon recht klar, dass wir ein ganzes Album damit machen wollten. Die Musik hat sich diesen Weg förmlich selbst gebahnt. Lange Zeit wollten wir diese Songs aber unter einem anderen Band-Namen veröffentlichen, doch als Stefan Herwig Dependent Records wiedereröffnete und er die Begeisterung für diese Tracks mit mir teilte, entschlossen wir uns, ein Special Album als mind.in.a.box zu veröffentlichen. Es kamen dann noch einige neue Songs hinzu, bis wir alle fanden, dass das Album stimmig abgeschlossen ist.
 
Inwiefern, findest du, passen diese Retro-Sounds zu der Welt von m.i.a.b?
Stev: Schwer zu sagen. Die Sounds an sich finde ich passend. Das heisst, die könnte ich mir auch in einem 'normalen' mind.in.a.box Album vorstellen. Allerdings finde ich, ist die Stimmung von R.E.T.R.O, bis auf wenige Ausnahmen, eine gänzlich andere als die in unseren bisherigen Alben. Bisher schwebte meist eine düstere, leicht depressive Stimmung über unserer Musik. R.E.T.R.O klingt für mich auch mind.in.a.box-typisch melancholisch, aber wesentlich verspielter. Der extreme Pitchgesang bei zwei Tracks auf R.E.T.R.O wird sicherlich nicht jedermanns Sache sein, aber das musste so sein. Hier geht es schließlich um Giana Sisters! :)
 
Wie viel Zeit hast du in deiner Kindheit und Jugend vor Konsolen und Computerbildschirmen verbracht? Vor welchen Spielen bevorzugt?
Stev: Sehr viel. Wenn ich mich an die alte Zeit zurückerinnere, fällt mir sofort vor allem die Last Ninja Reihe ein, Ace II, International Karate, The Last V8, Impossible Mission, Barbarian, Joystick-Rüttel-Sessions mit Combat School, Winter- und Summergames und wie sie alle hießen. Ich schaute allerdings mehr Crackerdemos und Intros als ich tatsächlich Spiele spielte. Da waren immer sehr coole Musiken dabei, optisch mit butterweich flüssigen Scrollbalken untermalt. So weiche Scroller gibt es auf heutigen Rechnern kaum noch, weil damals exakt zur Fernseher- oder Monitor-Frequenz synchronisiert wurde, was heute witzigerweise nicht mehr üblich ist.
 
Bist du auch heute noch ein 'Zocker' oder erachtest du 'R.E.T.R.O' eher als nostalgischer Trip in deine Vergangenheit?
Stev: Außer hin und wieder Quake Live spiele ich momentan so gut wie nichts mehr. Bei Spielen wie World of Warcraft kann soviel Zeit draufgehen, dass man zu nichts Realem mehr kommt. Wenn ich längere Zeit an keiner eigenen Musik gearbeitet habe, bekomme ich das Gefühl, meine Zeit verschleudert zu haben. R.E.T.R.O ist für mich quasi mein persönlicher Silberstreif am Horizont vergangener Tage. Ein letzter musikalischer Rückblick und eine Hommage an die gute alte Zeit. Ich bin wirklich froh, dass wir diesen Release zustande gebracht haben.
 
Es gibt unzählige alte Spieleperlen. Hast du die zu vertonenden Stücke nach eigenen Jugendvorlieben ausgewählt oder bereits auf geeignete Harmonien geachtet?
Stev: Ich habe ganz gezielt Stücke ausgewählt, wo ich mir vorstellen konnte, dass ich sie cool und zeitgemäß klingen lassen kann. Viele alte Tracks finde ich super, sie eignen sich aber dennoch meiner Meinung nach nicht für einen guten Remix. Cool und futuristisch sollte es aber auf jeden Fall klingen, und so war es dann doch recht schwer, komplett geeignete Tracks zu finden. Der Musiker Rob Hubbard kam hierbei verdächtig oft vor, in meiner persönlichen Highscoreliste. Sehr gerne hätte ich z.B. auch den Track 'Gone' von Thomas Mogensen (Drax) bearbeitet. Der hat eine absolut geniale Endlosmelodie, einer meiner absoluten Favorites. Aber das ist so ein Beispiel, wo ich keine Möglichkeit sah, wie das mit meinen Zielen möglich gewesen wäre. Bei 'The Last V8' tat ich mir zunächst auch schwer, aber als ich dann Teile davon abänderte, einen Refrain dazu baute, Markus den zum damaligen Spiel passenden Text schrieb und Gesang dazu kam, war ich sehr zufrieden. Es ist nun einer meiner Lieblingstracks auf R.E.T.R.O.
 
Auf 'Klassikermelodien' wie die von Tetris wartet man vergeblich. Gibt es einen bestimmten Grund dafür?
Stev: Naja, wir hätten nie die Vorlieben aller Leute zufrieden stellen können, da es so viele Kultmelodien gibt. Allein bei Tetris hängt das auch sehr von der Hardwareplattform und Version ab, da gab es unzählige verschiedene Soundtracks. Ghosts'n'Goblins beispielsweise fällt bei mir in dieselbe Kategorie wie Tetris. Es wäre dadurch nicht cool geworden. Im Prinzip stand bei mir die Last Ninja Reihe musikalisch damals ganz weit oben. Covers von Last Ninja 1 und 3 sind ja auf R.E.T.R.O vertreten, ein drittes Cover von 'Last Ninja 2' gibt es für die Albumkäufer mit dem Bookletcode in unserer Hidden-Area auf www.mindinabox.com, wie noch einiges andere. Ich hatte anscheinend doch sehr spezielle Vorstellungen welche Tracks ich covern wollte und auch konnte. Das waren also sehr persönliche Entscheidungen, keine gezielt ausgewählten Klassiker.
 
Hat sich die Kompositionsarbeit an deinem neuen Album stark von der der ersten drei Werke unterschieden? Wo lagen die Unterschiede?
Stev: Die Eigenkompositionen sind ähnlich entstanden wie Songs auf unseren anderen Alben, wenngleich ich eine ganz andere Vorstellung und Gefühl vor Augen hatte, was ich erreichen wollte. Bei den Covers war das allerdings deutlich anders. Man muss zunächst den Originaltrack analysieren, die Melodien, auf die es ankommt, heraushören und dann detailliert nachbauen. Oft habe ich auch versucht, den Soundcharakter ähnlich zu gestalten. Das ist zunächst mehr handwerkliche Arbeit, und erst ab einem gewissen Zeitpunkt kannst du mit dem tatsächlichen Remix/Cover anfangen. Viele dieser alten Melodien weiß man aber natürlich ohnehin noch und hat sie tatsächlich im Kopf parat, da ich diese Tracks schon ewig kenne. Wenn man dann glaubt mit einem Track fertig zu sein, wartet man am besten noch ein paar Tage und arbeitet dann noch eine Woche daran. Das ist bei den anderen mind.in.a.box Songs aber auch nicht anders.
 
Hast du auch Retroeqiupment für die Reproduktion dieser old school-Sounds genutzt?
Stev: Nein, nur Hightech.
 
Ist das Album als Verbeugung vor der C=64-Ära zu sehen?
Stev: Ja absolut. Die Stars dieses Albums sollen die Komponisten in der Creditsliste des Booklets sein. Es ist Markus' und meine Verbeugung vor ihnen.
 
Neben den Videospielcoverversionen finden sich auch eine Reihe Eigenkompositionen auf dem Album. Inwiefern hast du für dich selbst versucht, diese im Geiste der Coverversionen zu halten?
Stev: Die mußten natürlich zum Thema passen und sollten teilweise mit einem leichten Schmunzeln gesehen werden, aber natürlich ein nostalgisches, wohliges Schmunzeln :) Vor allem die beiden Pitch-Songs. Die Texte von Markus dazu sind auch extrem witzig. Normalerweise machen wir als mind.in.a.box mehr oder weniger nur ernste Songs, und da muss man sich, wenn man z.B. 'I Love 64' hört, erst umstellen. Wie wenn du glaubst ein Bier zu trinken, und dann ist stattdessen aber Apfelsaft im Glas. Da wirst du dich zunächst auch wundern, wie das schmeckt. Die letzten beiden Songs auf dem Album gehen dann aber langsam wieder in die ernstere Richtung und lassen das Album schon im nahezu typischen mind.in.a.box Stil ausklingen. Auch wenn sie dem Thema Retro treu geblieben sind. Für die eingefleischten mind.in.a.box Fans, die mit C64 Musik nicht so viel am Hut haben, dürfte wohl der letzte Song 'Whatever Mattered' dann das Highlight werden. Dazu machen wir gerade auch ein Video, das es für die Albumkäufer über den Code im Booklet in unserer Hidden-Area auf www.mindinabox.com zum Download geben wird.
 
Sind diese Kompositionen als zukünftiger Weg zu sehen oder handelt es sich bei 'R.E.T.R.O' eher um ein Sonderalbum?
Stev: R.E.T.R.O ist und bleibt ein spezielles Album, quasi eine mind.in.a.box Ausnahmeerscheinung, und ich bin mir sicher, dass Markus und ich uns immer sehr gerne an dieses Album und dessen Entstehungsgeschichte zurückerinnern werden. Nun sind wir aber natürlich trotzdem so gespannt wie wohl niemals zuvor, wie dieses Album beim Publikum aufgenommen werden wird, weil es eben doch diesen Ausnahmestatus hat. Die jüngere Generation, die den C64 nur vom Hörensagen kennt, könnte das Album trotzdem toll, aber genau so gut auch furchtbar finden. Ich kann mir absolut jede Kritik dazu vorstellen. Darauf freue ich mich aber auch besonders.