mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Orkus 06/2005', Interviewer:'Stefan Brunner', about: 'Dreamweb', Date: 2005-06-01
 
Link: Orkus 06/2005
 
Einer der großen Unterschiede zwischen euren beiden Alben ist die Ausstrahlung. Dreamweb geht meiner Meinung nach nicht so schnell ins Ohr wie Lost Alone und braucht seine Zeit, um zu wachsen was durchaus keine Kritik ist. Siehst du das ähnlich, bzw. kannst du den Eindruck nachempfinden oder sogar erklären?
Ich kann deinen Eindruck sehr gut nachempfinden. „Dreamweb“ ist auf jeden Fall eine Spur härter und rauer als „Lost Alone“, was auch durchaus beabsichtigt ist. Genauso, wie wir die mind.in.a.box Geschichteweiterentwickeln, wollten wir auch die musikalische Bandbreite in „Dreamweb“ erweitern. Es ist jetzt vielleicht nicht nur ein einziger musikalischer Strang, sondern mehrere, die unterschiedliche Richtungen einschlagen, denen aber trotz allem ein gemeinsamer Ursprung anzuhören ist. Direkt gesehen steht der Begriff „Dreamweb“ für eine Welt aus miteinander verbundenen Träumen, und genauso wie es viele verschiedene Träume gibt, sollte es auch viele verschiedene Songs auf diesem Album geben. Andererseits mache ich aber einfach auch ungern zwei Songs hintereinander, die ähnlich klingen. Die beiden letzten Songs, die für „Dreamweb“ entstanden, waren „Dead End“ und „Lament for Lost Dreams“, die wohl unterschiedlicher nicht klingen könnten. So bleibt Musik zu machen für mich immer sehr spannend. Ich denke, das Album ist wieder sehr, sehr dicht geworden. Das ist zu Beginn vielleicht ein kleiner Nachteil, aber ich bin auch der Typ, der sehr lange etwas von einem Album haben möchte.
 
Lost Alone glich einem langen, geraden und ruhig vor sich hin fließendem Fluss, während Dreamweb um bei diesem Bild zu bleiben eher einem Strom ähnelt, der Verlauf und Fließgeschwindigkeit wechselt und sogar Stromschnellen aufweist. Sollte das neue Album bewusst so werden?
Das hast du sehr schön beschrieben! Ich wollte es schon bewusst in diese Richtung lenken. Ein Grundgedanke bei „Dreamweb“ in musikalischer Hinsicht war, wie schon kurz angesprochen, eine Vielfalt von Träumen darzustellen. Diese Träume, von teils auch unterschiedlichen Personen, bilden als Gesamtheit natürlich eine Einheit, die sich oft wandelt und viele verschiedene Gesichter hat.
 
Ein neues emotionales und damit musikalisches Element in eurer Musik scheint mir eine gewisse Aggressivität zu sein, was beispielsweise ein Lied wie Dead End belegt. Sind es inhaltliche oder musikalische Gründe, die zu diesem neuen Stilmittel führten?
Sowohl als auch. Die Geschichte wechselt von „Lost Alone“ zu „Dreamweb“ immer mehr zur Perspektive des „Verfolgers“, und dem wollten wir natürlich auch musikalisch Rechnung tragen. Aber insgesamt sehe ich es einfach auch als interessante Herausforderung, immer neue Wege einzuschlagen und etwas dazu zu lernen. „Dreamweb“ geht, zumindest in manchen Songs, etwas von den geradlinigen Beats weg. Wahrscheinlich wirkt es schon alleine dadurch aggressiver. In Summe sehe ich das Album aber nicht als sehr hart oder aggressiv. Du hast aber recht, an manchen Stellen hört man das immer wieder etwas durchblitzen, und in bestimmten Songs wird es sogar stark betont.
 
Generell ist die Instrumentierung sehr viel variabler geworden. Man kann nun Gitarren, Chöre oder symphonische Passagen hören. Habt ihr da eine gewisse Zurückhaltung aufgegeben, die euer erstes Album noch kennzeichnete?
Vielen Dank, ich fasse das als Kompliment auf. Ich denke ja, es sind eindeutig neue Elemente hinzugekommen, aber dennoch bleibt der Grossteil nach wie vor sehr elektronisch. Vielleicht nicht mehr ganz so kompromisslos wie noch auf „Lost Alone“.
 
Auf Lost Alone war die Einsamkeit das beherrschende Thema. Gibt es ein thematisches Pendant auf Dreamweb? Steht überhaupt ein Thema im Mittelpunkt oder ist es eine Erzählung, die den Inhalt bestimmt?
Im Wesentlichen versuchen wir, sowohl ein Gesamtthema, als auch eine damit in Zusammenhang stehende Geschichte zu vermitteln. Die Geschichte selbst wird aber nur skizziert und lässt sehr viel Spielraum für Interpretationen. Für uns ist in erster Linie auch einmal die Musik sehr wichtig, und Musik lebt sehr viel von Emotionen. Darüber hinaus werden die Songs auf einem mind.in.a.box Album aber durch ein gemeinsames Thema zusammengehalten, und wir verbinden auch die einzelnen Alben inhaltlich miteinander. In „Dreamweb“ geht es um das Ausbrechen in eine Welt der Träume. Es geht um verlorene Träume, um Träume denen man schon immer nachhängt und deren eventuelle Verwirklichung man aber vielleicht schon längst aufgegeben hat. Es geht um die vielen falschen und richtigen Abzweigungen, die man auf seinem Weg zum Ziel nimmt, aber auch den Traum, sie letztendlich doch verwirklichen zu können.
 
Am ersten Album habt ihr drei Jahre gearbeitet, die Fertigstellung des Nachfolgers nahm lediglich ein Jahr in Anspruch. Unterscheiden sich die beiden Platten im Herstellungs- oder Produktionsprozess?
Es gab viele Gründe für die lange Arbeitszeit an „Lost Alone“, aber ich denke, dass wir jetzt soweit sind unsere Ideen schneller umsetzen zu können. Aber auch in „Dreamweb“ steckt mehr Zeit als ein einziges Jahr, da wir schon einige Zeit vor dem Release von „Lost Alone“ begonnen hatten daran zu arbeiten. Rein technisch arbeite ich jetzt erstmals nicht mehr mit unserem selbst entwickelten Sequencer. Der hatte viele Vorteile und war sicher prägend, aber hat auch einen Mehraufwand an Zeit bedeutet, der mit aktueller Technik nicht mehr notwendig ist. Ich versuche auch immer meine Arbeitsschritte während des Produzierens zu optimieren, bei kreativen Dingen muss man immer sehr schnell sein. (Es hindert ungemein, wenn man nicht genau weiß welches Sample wo liegt, welcher Effekt wo zu finden ist, oder welchen Eingang man wohin routen muss, um das Gewünschte Resultat zu bekommen. Diese Dinge sind mir sehr wichtig und ich versuche sie schrittweise immer noch zu verbessern.) Wir haben sehr viele Einfälle, die wir „nur“ umsetzen müssen.
 
Ein typisches Stilmittel scheinen mit auch diese Momente der Ruhe zu sein, die ihr immer wieder einbaut (z.B. Out Of Time) und die ein Gefühl des kurzen Schwebens und Innehaltens vermitteln. Was reizt euch an diesen kurzen aber wirkungsvollen Passagen, in denen nichts zu hören ist?
Ich setze so etwas sehr gerne ein, wenn zwei unterschiedliche Abschnitte der Musik aufeinander stoßen. Eine Art Verschnaufpause, ein Break, bei dem die Zeit kurz still steht und man gespannt wartet, wie es weiter geht.
 
Albumtitel, Thematik, Musik und Artwork hinterlassen beim Hörer einen bestimmten Eindruck, schaffen ein Bild von den Musikern, die hinter dem Ganzen stehen. Allein der Titel Dreamweb könnte im Zusammenhang mit der Gestaltung des Covers eine ganz bestimmte Klientel ansprechen. Man könnte da schon von einem Image sprechen. Spielt ihr bewusst mit diesen Klischees aus der Science Fiction-Welt?
Wir sind beide große Science Fiction und Fantasy Fans, und dieser Einfluß ist sicher auch deshalb so stark spürbar. Wir sehen mind.in.a.box auch als Projekt, das mit der Metapher einer Sci-Fi artigen Welt bestimmte Aspekte unserer wirklichen Welt herausgreift und mit vielen Ebenen von Interpretationen spielt. Alles ist auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden, kann aber auch für sich alleine stehen. Das „Dreamweb“ wurde zum Beispiel auf „Lost Alone“ schon indirekt erwähnt, auch wenn es dort noch nicht beim Namen genannt wurde. In unserer Geschichte ist es eine zweite Ebene der Realität, die wahrscheinlich auch auf dem nächsten Album noch stärkere Bedeutung erlangen wird. Diese starke Verbindung der einzelnen Elemente heißt natürlich auch, dass sich ein roter Faden durchzieht, den man vielleicht auch Image nennen könnte.
 
Ich finde, dass Certainty eine recht unglückliche Wahl für eine Single war, da das Lied wenig von den Neuerungen auf Dreamweb hören lässt. Auch die Remixer haben meiner Meinung nach keine besonders gute Arbeit geleistet. Warum wurde gerade diese Nummer ausgekoppelt? Stücke wie Machine Run oder Dead End besitzen da meines Erachtens sehr viel mehr Potenzial für eine MCD.
Findest du? Wir hielten es eigentlich für eine gute Wahl. Es ist sehr schwer, einen Song von „Dreamweb“ auszuwählen, der das gesamte Album repräsentieren soll. Certainty ist, so denke ich, einer der clubtauglichsten Songs unseres Albums. Das war wohl einer der Hauptgründe den Song für die Single zu nehmen.
 
Ihr arbeitet immer noch sehr häufig mit unterschiedlichsten Stimmen. Kommt der Einsatz einer Gastsängerin oder eines Gastsängers generell für euch in Frage?
Das ist sicherlich nicht auszuschließen, würde ich mal sagen.
 
Tape Evidence ist ein gleichermaßen ungewöhnlicher wie gelungener Einstieg in dieses Album, der eine Beziehung zu Lost Alone herstellt. Bedurfte es eines gewissen Mutes, Dreamweb mit dieser Collage zu beginnen und somit vom üblichen Schema abzuweichen?
Vielen Dank! Dass es Mut dafür gebraucht hat, würde ich aber so nicht sagen. Wir schweben mit unserem Konzept ohnehin zwischen den Stühlen, und insofern haben wir dadurch wieder mehr Freiheiten so etwas umzusetzen. So bleibt es für die Hörer spannend und interessant. Es hat uns auch tatsächlich sehr viel Spaß gemacht, zu versuchen, gleich mit dem ersten Track klarzustellen, dass „Dreamweb“ in vielerlei Hinsicht direkt an „Lost Alone“ anknüpft, natürlich vor allem für jene, die die einzelnen Fragmente wieder erkennen.
 
Ihr habt mit diesen hörspielartigen Stücken schon auf dem Debüt gearbeitet. Ich finde diese Passagen äußerst gelungen, deshalb nochmals meine Frage, weshalb ihr dieses Prinzip nicht auf das ganze Album ausweitet und eure Lieder quasi vollkommen in diese Hörspiele einbettet (oder andersherum)?
Wir diskutierten diese Idee tatsächlich vor einiger Zeit, die einzelnen Songs mit solchen „Hörspielen“ zu verbinden. Wir fanden es dann aber doch etwas zu weit weg von einer „normalen“ Musik CD. Mehr oder weniger konventionelle Songstrukturen sind uns schon auch sehr wichtig. Aber eine tolle Idee wäre es, die Alben mit diesen Elementen in einer Art Extended Version zu veröffentlichen. In der Tat für die Zukunft nicht uninteressant.
 
Was bedeuten euch Träume?
Eine Art Blick in die Zukunft. Etwas, woran man sich festhalten kann, etwas das noch weit entfernt ist, oder das man vielleicht sogar niemals erreichen wird.