mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Zillo 03/2010', Interviewer:'Marc Urban', about: 'R.E.T.R.O', Date: 2010-03-01
 
Link: Zillo 03/2010
 
Mind in a C64

Wer im zarten Alter von elf Jahren bereits Musik für Computerspiele programmiert hat, kann dies im Erwachsenenalter kaum dauerhaft verbergen. Lange haben die Mind.ln.A.Box-GrÜnder Stefan 'Stev' Poiss und Markus Hadwiger ihre Liebe zum Commodore 64 unterdrückt, auf dem vierten Album 'R.E.T.R.O' ist sie nun doch mit ihnen durchgegangen. Die beiden österreichischen Floppy-Fans im Zillo-Interview.
 
Ihr verratet ja schon mit dem Titel und dem Cover, um was es auf 'R.E.T.R.O' geht. Durch die bisherigen drei Alben kennen die Leute MIAB als zukunftsgerichtete, visionäre Band. Wirft 'R.E.T.R.O' dieses Bild nicht komplett über den Haufen?
Markus: R.E.T.R.O is ja eine sehr zukunftsgerichtete Interpretation dieser zwar durchaus einigermassen alten, aber unserer Meinung nach zeitlosen Melodien. In dieser Zeitlosigkeit steckt unserer Meinung nach auch eine gewisse Vision für die Zukunft.
Stev: R.E.T.R.O kann man denke ich nicht wirklich mit unseren bisherigen Alben vergleichen. Diese Album beschäftigt sich mit einem bestimmten Thema und einer bestimmten Zeit, und wird für uns in vielerlei Hinsicht etwas Einmaliges und sehr Besonderes bleiben. Ich gebe dir aber Recht, dass R.E.T.R.O sich stark von unseren bisherigen Arbeiten als mind.in.a.box unterscheidet. Gerade daran habe ich aber auch sehr viel Spaß. Wir setzen unsere bisherigen Alben und die darin erzählte Geschichte ja auch auf dem folgenden Album fort, R.E.T.R.O stellt also in keinster Weise eine Art Endpunkt dar. Apropos Zukunft: Was ich mir für die Zukunft wünschen würde, ist, wenn sich Musiker wieder mehr der Fähigkeit erinnern, sich so wie früher mehr mit der Komposition an sich zu beschäftigen. Dieser Ansatz fehlt mir heutzutage meistens sehr, und vielleicht kann R.E.T.R.O auch manchen heutigen Musiker wieder neu inspirieren. Das würde mich zumindest sehr freuen. Möglicherweise war und ist R.E.T.R.O auch für mich eine notwendige musikalische Station, die für mich sehr wichtig ist. Es war eine echte Herausforderung, all diese Melodien aus den Originalstücken herauszuhören, im Detail zu rekonstruieren, und zu versuchen alles neu zu verpacken und cool klingen zu lassen.
Markus: Im Grunde genommen war es uns aber einfach ein echtes Bedürfnis dieses Album zu machen, um unseren alten musikalischen Helden damit Tribut zu zollen und den Leuten ein paar dieser wirklich genialen Tracks in einem neuen, zeitgemässen Kleid zu präsentieren.
 
Ihr habt früher selbst Musik für den C64 komponiert. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, dort wieder anzuknüpfen?
Stev: Das hat sich einfach so ergeben, aber oft ist ein gewisses Innehalten auch genau das Richtige. Wir arbeiten derzeit noch an unserem nächsten, wenn du so willst 'regulären' Album, das die mind.in.a.box Geschichte weitererzählt, und ich wollte R.E.T.R.O unbedingt veröffentlichen. Es war quasi schon überfällig. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass es so komplett anders ist und keiner wohl mit so etwas gerechnet hätte.
Markus: Unserem Labelchef Stefan Herwig gefielen die Tracks auch sehr, und so stand der Veröffentlichung nichts mehr im Wege. Die Tracks 'Last Ninja 3' und 'Lightforce' lud Stev schon vor einiger Zeit auf die in der Chip-Musik Szene sehr bekannte Webpage remix.kwed.org hoch, und sie hatten dort eine ausserordentlich positive Resonanz. Das gab uns auch die Bestätigung, dass wir ein ganzes Album daraus machen möchten, das einigen unserer Fans, genauso wie Leuten, die noch nie von uns gehört haben, sehr gefallen könnte. Selbst oder gerade weil es nicht das Album ist, dass die meisten von uns jetzt wahrscheinlich erwartet hätten. In mind.in.a.box geht es für uns ja sehr darum, sich nicht zu stark festzulegen und engstirnig, einseitig, oder im vorhinein bestimmt und vorhersagbar zu denken. Dazu passt die Veröffentlichung von R.E.T.R.O für uns perfekt.
 
Konsequenterweise müsste 'R.E.T.R.O' ja komplett mit dem C64 aufgenommen worden sein. Ist dem so (bzw. ist das überhaupt möglich)?
Markus: Das wäre nur schwer möglich. Vielleicht in einem C64-Clusterverbund ϑ Aber darum ging es uns auch gar nicht. Wir wollten nicht zurück in die Vergangenheit, sondern wir wollten sie neu beleben und in die Gegenwart und Zukunft bringen. Eben so wie wir uns vorstellen, dass diese Kompositionen heute klingen würden, wenn sie gerade erst erschaffen worden wären und nicht damals.
Stev: Ich habe nur heutiges Equipment verwendet, bis auf den doch mittlerweile in die Jahre gekommenen Sequenzer Logic Audio von Emagic am PC. Ich wollte diese alten Tracks in ein frisches Gewand packen, und so habe ich versucht die Musiken von damals so mächtig klingen zu lassen wie nur möglich. Mir war sehr wichtig, dass das Resultat cool und futuristisch klingt, und die Musik mit viel Druck daherkommt. Viele belächeln diese Art Musik von damals, aber diese Kompositionen waren teilweise wirklich genial. Etwa dir pure Kraft von 'Last Ninja 3', oder die einfach geniale Melodie von 'Shades'. So etwas findet man heute kaum in der elektronischen Musik, und ich denke es sucht kaum jemand mehr nach solchen Melodien. Es wäre sehr lustig gewesen, wenn wir R.E.T.R.O auch als Audio-Kassette oder Platte releasen hätten können.
 
Die musikalische C64-Verehrung ist ja bereits seit vielen Jahren recht erfolgreich durch Welle: Erdball besetzt. Wo seht Ihr Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten? Oder andersrum gefragt: ist die Nische groß genug, um von zwei Bands beackert zu werden?
Stev: In der Tat gibt es nach wie vor eine sehr große C64 Fangemeinde und auch eine sehr aktive Remix-Szene und Remix CDs. Die Band 'Machinae Supremacy' ist z.B. auch sehr bekannt, sie haben den Begriff 'SID Rock' geprägt. 'SID', oder Sound Interface Device, war die Bezeichnung des Soundchips des C64. Welle Erdball sind in unserer Szene aber sicher die bekanntesten C64 Verehrer. Ich mag die Musik von Welle Erdball sehr, weil sie den Zeitgeist von damals irgendwie am Leben erhält. Bei R.E.T.R.O klingt aber meiner Meinung nach doch alles viel futuristischer, was aber jetzt überhaupt keine Wertung der Musik sein soll. Mir persönlich ist es nicht wichtig, ob die Nische groß genug ist oder nicht. Es ging mir hauptsächlich darum, diesen großartigen Kompositionen von damals meinen Respekt zu zollen, und ich bin glücklich, dass wir dieses Album veröffentlichen konnten. Und ich denke, dass es im Endeffekt natürlich ein mind.in.a.box Album ist, das trotz aller Unterschiede zu unseren anderen Alben trotzdem auch unseren Stil repräsentiert.
 
Wenn man Deine und Markus‘ gemeinsame Commodore-Begeisterung zugrunde legt, zeigt sich schnell, dass Ihr beiden Euch schon richtig lange kennen müsst. Eine Freundschaft von zwei Computer-Nerds, die obendrein noch was für Musik übrig haben? Oder wie muss man sich die lange Historie des Duos Poiss/Hadwiger vorstellen?
Stev: Ja, so in etwa stimmt deine Beschreibung schon, obwohl ich uns nicht mehr als so richtige Nerds bezeichnen würde. Dem sind wir etwas entwachsen, aber wir sehen den Begriff auch grossteils nicht negativ. Aber wir kennen uns wohl doch recht gut mit Computern aus und verbringen viel unserer Zeit mit ihnen. Wir beide kennen uns seit 30 Jahren. Markus ist immer der Computer-Programmierer gewesen, und ich eher der Synth-Programmierer. Mein erster 'Synthesizer' demnach war eben der Commodore 64 und sein SID Chip. Und dieser Computer hatte einen so einzigartigen Sound, dass er uns Jahre später noch immer so sehr beschäftigt, dass wir ein spezielles Album zu diesem Thema veröffentlichen. Irgendwie schon faszinierend. Markus beschäftigt sich heute auch noch sehr viel mit Computerspielen. Er hat jede gängige Spielekonsole zu Hause, manche sogar in mehrfacher Ausführung. Ihr müsstet mal sein Zimmer sehen. Stapelweise Hefte und Nerdstuff. So etwas habt ihr noch nicht gesehen. Dagegen bin ich gar nichts.
Markus: Dafür sieht es bei Stev dann ganz genauso aus, was Synthesizer und alles mögliche andere Audio-Equipment angeht.
 
Ein Zitat aus unserem Interview zu 'Crossroads' lautete: 'Das nächste Album müsste von den Emotionen her z.B. deutlich aggressiver werden als dieses.' Trifft nicht ganz zu, oder?
Stev: Lol. Klar, da hast du jetzt natürlich recht. Damint meinte ich das nächste 'reguläre' mind.in.a.box-Album. ϑ Ursprünglich war mal der Plan, R.E.T.R.O als Nebenprojekt zu veröffentlichen, aber schlussendlich entschieden wir uns, auch dieses Album als mind.in.a.box zu releasen. Zu dem Zeitpunkt des Interviews, das du meinst, hatte ich glaube ich diese Retro Idee noch nicht im Kopf. Das hast du dir aber gut gemerkt. Da muss man richtig aufpassen bei dir.
 
Inwieweit passt das Konzept von Miab, also das Eingeschlossensein und die Unfreiheit von Gedanken, eigentlich noch zu 'R.E.T.R.O'?
Stev: Nun, diese etwas bedrückende Stimmung, die unsere bisherigen Alben teilweise sicher haben, gibt es bei R.E.T.R.O nicht. Bis auf vielleicht ein oder zwei Songs. Und R.E.T.R.O beschäftigt sich auch nicht mit unseren üblichen Themen. Für uns ist das aber auch eine Umsetzung dessen, dass wir zumindest musikalisch ausbrechen können, um zu tun, was wir tun wollen. Und das hat dann insofern auch wieder einen gemeinsamen Nenner mit unseren bisherigen Arbeiten.
Markus: Es passt natürlich nicht so, wie unseren anderen Alben, und das wollten wir diesem Album auch nicht aufzwingen. Aber du kannst das auch gerne als etwas schizophrene Mischung aus Vergangenheitsbewältigung und dem gleichzeitigen Wunsch sehen, die schönste Seite davon in die Gegenwart zu retten und ein Teil unserer Zukunft werden zu lassen. Was auch eine Art Befreiung ist.
 
Ihr scheint nur wenig Vertrauen in Eure Stimmen zu haben?! Auf den ersten drei Alben gab es Gesang nur verfremdet bzw. computer-erzeugt, und auf 'R.E.T.R.O' agiert Ihr überwiegend instrumental bzw. lasst eine Frau diesen Job übernehmen. Dabei klingt 'Whatever Mattered' doch wirklich famos…
Stev: Vielen Dank wegen 'Whatever Mattered'. Dieser Song ist für unsere Verhältnisse sehr stark auf meine normale, natürliche Stimme ausgerichtet. Ich denke, diesen Song werden viele mögen. Bei verfremdeten Stimmen scheiden sich dagegen immer die Geister. Die einen lieben es, die anderen hassen es. Ich denke nicht, dass der Grund für unsere Computer- oder Roboter-Stimmen fehlendes Selbstvertrauen ist. Zumindest glaube ich mittlerweile auch selbst, dass ich ein wenig singen kann. Ich liebe es aber trotzdem, meine Stimme zu verfremden. Der Song '8 Bits', wo ich diese extrem hoch-gepitchte Stimme verwendet habe, handelt im wesentlichen von Giana aus dem Spiel 'Giana Sisters'. So eine kleine Spielfigur, mit gelben Haaren und einer im Endeffekt irre geringen Menge an Bildschirmpixeln, muss ja auch in einer Art und Weise extrem klingen. Sowas kann man nicht normal umsetzen. Und zusammen mit diesem witzigen Text von Markus passt das auch sehr gut und stimmig zusammen, finde ich. Man muss aber sicher offen für so etwas sein.
 
Und daran anknüpfend: Hat 'Whatever Mattered' wie schon 'Run For Your Life' auf 'Crossroads' als letzter Track durch seine Machart wieder eine besondere Bedeutung für das Album?
Markus: 'Whatever Mattered' ist quasi der musikalische Ausklang, der einen noch einmal alles Revue passieren lässt, und gleichzeitig aber auch eine Überleitung in die typische Musik von mind.in.a.box darstellt.
Stev: Diesen Song könnten wir uns auch auf einem 'normalen' mind.in.a.box Album vorstellen, und wir werden ihn auch in unser Live-Repertoire aufnehmen. Mit dem Code aus dem Booklet von R.E.T.R.O wird es übrigens diesmal unter anderem auch ein Video zu einer live-artigen Version von 'Whatever Mattered' geben, wo auch unsere Liveband ihren Teil dazu beigetragen hat. Seid gespannt.
 
So genial Eure ersten drei Alben auch waren: Ich vermute, dass Ihr es schwer gehabt hättet, ein anderes Label von Rang und Größe wie Depedent zu finden. War das jetzt einfach gutes Timing, dass 'R.E.T.R.O' perfekt mit dem Herwig-Comeback zusammenfällt oder liegt das Album schon ein paar Monate auf Halde? Oder habt Ihr überhaupt erst wieder mit Musik angefangen, als Ihr hörtet, dass Dependent zurückkommt?
Stev: Also aufgehört, Musik zu machen, habe ich nie. Einige Songs auf R.E.T.R.O waren auch schon seit einiger Zeit fertig. Dazwischen kam das Label-Ende von Dependent, und wir waren auch schon kurz davor, das Label zu wechseln. Doch dann öffnete Stefan Dependent wieder, und wir konnten ihn mit R.E.T.R.O infizieren. Die Idee mit dieser schwarzen Datasette auf dem Cover fand ich dazu total passend. Im Prinzip zeigt dieses Bild genau, wie das Album klingt. Retromusik in einer mind.in.a.box Datasette abgespielt und dadurch auf unsere eigene Art neu zum Leben erweckt.
 
Ich habe dieser Tage gerade meinen Videorekorder aussortiert, den meisten Leuten geht es Plattenspieler und inzwischen sogar DVD-Playern genauso. Bedauert Ihr dieses offensichtliche Ende der analogen Abspielgeräte?
Markus: Ja, ein wenig schon. Alle analogen Dinge besitzen etwas Einmaliges. Einem DVD Player trauert man weniger oder gar nicht nach, im Gegensatz zu einem guten Plattenspieler, der einem ans Herz gewachsen ist. Dieses Knistern von damals fehlt uns auch durchaus. Dass sich etwas abnutzen kann, gibt es digital nicht. Der Commodore 64 Sound Chip hatte im übrigen analoge Filter. Vielleicht war das sein Geheimnis, in einer Zeit, wo das digitale Zeitalter bereits begonnen hatte.