mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Orkus 10 Jahre', Interviewer:'Stefan Brunner', about: '10 Jahre Orkus', Date: 2006-05-01
 
Link: Orkus 10 Jahre
 
Ihr habt immer wieder erwähnt, selber Science Fiction-Fans zu sein. Eure Texte haben einen starken Bezug zu diesem Genre. Seht ihr in der Science Fiction wirklich nur reine Fiktion oder beinhalten einige Zukunftsvisionen durchaus reale Bezüge und zeigen Entwicklungsmöglichkeit unseres zukünftigen Seins auf?
stev: Science Fiction steht für mich vor allem einmal für eine Art Flucht in eine andere Welt. Bei Filmen oder Büchern fasziniert mich, zu sehen wie eine mögliche Zukunft in einer durch Technik bestimmten Umwelt aussehen könnte und wie wir als Menschen damit umgehen werden. Ich denke solche Ausblicke in die Zukunft (oder Gegenwart?) können uns auch die notwendigen Ziele und Visionen geben, die uns letztendlich weiterbringen. Mit unserer Musik hast du das glaube ich sogar selbst mal als Kopfkino bezeichnet. Ein sehr schöner Begriff wie ich finde, vielen Dank!
msh: Ich persönlich finde es sehr spannend alternative Zukunftsszenarien durchzuspielen. Es wird wohl kein Sci-Fi Szenario in mehr oder weniger derselben Form jemals eintreten, aber bestimmte Facetten sind erschreckend oft in der Entwicklung unserer realen Welt zu beobachten. Eine wichtige Aufgabe von Science Fiction ist es ja auch aufzuzeigen, wie wir unsere Zukunft eben nicht haben wollen.
 
Eine Frage, die jeden Sci Fi-Fan beschäftigt: Ist Rick Deckard aus dem Blade Runner ein Replikant?
stev: Ja, ich denke im Director’s Cut kommt das schon relativ deutlich hervor.
msh: Deckard hat doch diese surrealen Visionen von einem Einhorn, und gegen Ende des Films sieht man, dass der Polizist, der ständig so eine Art Origami Faltfiguren bastelt genauso ein Einhorn zurückgelassen hat. Die beiden haben wohl zum Teil dieselben Erinnerungen. Aber ich glaube sowieso, dass in der Welt von Blade Runner alle Replikanten waren, nicht nur die fünf Gejagten und Deckard ;)
 
Ihr habt sowohl mit eurer Musik als auch mit eurem Konzept in den letzten beiden Jahren eine Nische in der Musikszene besetzt, die es so vorher noch nicht gab. Seht ihr euch selbst in einer Sonderrolle innerhalb der vorhandenen Stilrichtungen? Gibt euch diese Position evtl. eine gewisse Narrenfreiheit oder spornt sie euch an, euer Prinzip weiter zu verfolgen?
stev: Für mich war es eigentlich sehr erstaunlich, dass es storyähnliche Konzepte in der Musik so selten gibt. Unser Gesamtkonzept stammt aus dem echten Bedürfnis so etwas machen zu wollen, wir hatten uns keine Gedanken gemacht wo das Ganze hinpasst oder nicht. Ich denke diese Narrenfreiheit nehmen wir uns einfach. Ich glaube die Leute erwarten sich auch von mind.in.a.box immer wieder aufs Neue überrascht zu werden, und da ich ja sehr gerne experimentiere habe ich damit überhaupt kein Problem. Dieses Experimentieren ist es auch, das mich immer wieder antreibt und mich statt des üblichen Weges auch mal einen anderen einschlagen lässt.
 
Wann und bei welcher Gelegenheit habt ihr jeweils angefangen, Musik zu machen?
stev: Man muss sich das in unserem Fall so vorstellen, dass msh immer schon der Programmierer war und ich immer schon der Musiker. Als wir beide 10 oder 11 Jahre alt waren programmierte er schon Assembler mit dem Commodore 64 und ich machte Musik mit diesem Computer. An diesem Prinzip hat sich bis heute, 20 Jahre später, nichts geändert. Wir waren mit Computern an sich so verwurzelt, dass wir auch früher als vielleicht bis vor sechs oder sieben Jahren nie das Bedürfnis hatten ein echtes Musikalbum zu veröffentlichen.
msh: Für die Musik bei miab ist stev zuständig. Ich entwickelte ursprünglich nur die Sequencersoftware, die wir mehr als zehn Jahre lang verwendeten. Programmierung und Musik war für uns immer eine Einheit und diesen Gedanken verfolgten wir auch mit unseren eigenen Computerspielen. Parsec, unser wichtigstes Spieleprojekt, war sehr groß angelegt und wir arbeiteten alleine daran schon mehr als fünf Jahre. Die Zeit verflog einfach, eine eigene 3D Engine zu programmieren ist unglaublich aufwendig. In diesem Bereich haben wir auch durchaus einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, es war ein sehr schöner Erfolg. Ich denke ein komplett selbstständiges Freeware 3D Game in dieser Größe hatte zuvor noch niemand gemacht.
stev: Ich kann mich noch erinnern, als die gesamte Netzanbindung der technischen Universität in Wien zum Stillstand kam, weil wir einen neuen Parsec Release zum Download angeboten hatten. Bei msh klingelte zu Hause plötzlich das Telefon... Um auf deine Frage zurück zu kommen: ich denke wir wollten schon immer unsere eigenen Welten erschaffen. Insgesamt hat sich in all den Jahren vom Prinzip her wenig für mich verändert. Ich arbeite konstant an neuer Musik und versuche mich weiterzuentwickeln. Das Equipment dafür ist gewachsen bzw. hat sich verändert, aber die Idee dahinter und die Leidenschaft sind gleich geblieben und bedeuten mir sehr viel.
 
Wann viel dann der Entschluss, MIAB zu gründen und ein Album aufzunehmen?
msh: Als ich mein Studium beendete und einen Vollzeitjob annahm, hatte ich nur noch wenig Zeit für die Programmierung von Computerspielen. Ich wollte nicht auch noch meine gesamte Freizeit nach der Arbeit vor dem Computer verbringen. Wir entschlossen uns rein musikalisch den Weg der Vergangenheit fortzusetzen und ein Musikprojekt zum Leben zu erwecken. Ich hatte schon länger begonnen an Songtexten zu arbeiten und gemeinsam entwickelten wir das Konzept von mind.in.a.box.
stev: Konkret entstanden ist mind.in.a.box vor etwa fünf Jahren, aber ich hatte natürlich schon lange zuvor begonnen Songs zu machen, die von Computerspielen unabhängig waren. Miab war aber der Katalysator für das erste richtige Album mit zusammenhängenden Songs.
 
Wie ist euer Verhältnis untereinander? Ist da „nur“ die gemeinsame Liebe zur Musik, die euch zu Kollegen macht, oder würdet ihr euch als Freunde bezeichnen, die mehr verbindet?
stev: Wir kennen und seit wir fünf Jahre alt waren und sind zusammen aufgewachsen. Das wird wohl auch ein Grund sein warum wir uns musikalisch so gut verstehen, da wir immer im selben Umfeld waren. Wir haben also einen sehr ähnlichen, um nicht zu sagen beinahe denselben Musikgeschmack. Wir sind sicher so etwas das man unter 'beste Freunde' versteht. Im Grunde genommen sind wir vor allem Freunde. Musik hat damit in erster Linie erst mal gar nichts zu tun, obwohl es natürlich ein sehr häufiges Gesprächsthema bei uns ist und uns zusätzlich verbindet.
msh: Wir haben eigentlich immer an gemeinsamen Projekten gearbeitet, ob es Computerspiele waren oder „nur“ Musik. Diese Projekte waren und sind unsere wichtigste Möglichkeit uns auszudrücken, und es ist genial, wenn man gemeinsam versucht eine Vision zu verwirklichen.
 
Viele Musiker erfahren die wirkliche Erfüllung ihrer Arbeit erst bei Live-Auftritten. Ihr habt bisher keine Konzerte gegeben. Fehlt euch hier nicht der Kontakt zu den Hörern bzw. reicht euch diesbezüglich das Feedback via Gästebuch auf eurer Homepage aus?
stev: Prinzipiell würden wir schon gerne auch Live-Konzerte geben, und es wäre mit Sicherheit ein ganz besonderes Erlebnis für uns, das wir bis dato nicht kennen. Unser Konzept mit den Geschichten hat aber eben auch einen Nachteil. Es gibt einige Songs, die aufgrund der verschiedenen Charaktere und künstlichen Stimmen live nicht so gut rüberkommen würden, wenn man es wie ein „übliches“ Konzert macht, aber genau diese Songs sind auch sehr beliebt. Um unser Story- Konzept live adäquat präsentieren zu können müsste man wahrscheinlich einen recht großen Aufwand betreiben. Aber wir denken konkret darüber nach, wie eine Liveumsetzung von miab aussehen könnte.
 
Ihr erzählt auf euren Platten konkrete Geschichten und es gibt sogar einen Handlungsstrang. Warum fallen keine Namen? Weshalb benennt ihr eure Protagonisten nicht?
stev: Das stimmt nicht ganz, der „Name“ White ist auf dem letzten Album 'Dreamweb' schon gefallen, wie sein Gegenüber heisst, kann man sich dann denken :) White ist eine der wichtigsten Personen unserer miab Story, das wird in Zukunft noch klarer werden.
msh: Generell ist es so, dass unsere Geschichten auch Metaphern für unsere reale Welt darstellen, und diese „Metaebene“ ist für uns sehr wichtig um nicht nur Einzelschicksale zu betrachten. Einzelne Personen spielen aber natürlich auch eine große Rolle, und wir werden in Zukunft die „Namen“ der Hauptcharaktere stärker einfließen lassen.
 
MIAB ist ein noch recht junges Musikprojekt. Wie haben euch die ersten beiden Jahre im Musikgeschäft gefallen?
stev: Es war etwas, hmm, turbulent. Du sagst es schon ganz richtig, es ist leider ein Geschäft, eine Industrie, und das gilt für den Independent-Sektor ganz genauso. Insofern bin ich froh nicht davon abhängig zu sein, da msh und ich auch unsere „normalen“ Jobs haben. Das macht uns sozusagen unabhängig und unbestechlich. Ich erinnere mich noch an eine Aftershowparty bei der Popkomm, und dort liefen aus meiner Sicht schon etwas merkwürdige Menschen herum, mit denen ich nicht viel anfangen konnte. Ich denke sehr viele dort spielen etwas, das sie eigentlich gar nicht sind. Das war für mich ein bisschen wie auf einem anderen Stern, und ich war mir nicht sicher, was ich in dieser Branche eigentlich soll. Ich meine, für mich geht es um die Musik, und nicht um die Show darum herum, und damit meine ich nicht die Liveauftritte. Äußerst positiv war dann aber unser toller Einstieg in die Musikwelt und die Offenheit mit der wir aufgenommen wurden, mit der wir so nicht gerechnet hatten. In Summe gesehen fühlen wir uns jetzt in der schwarzen Musikszene sehr wohl.
 
Just in dem Jahr, als das erste Orkus Magazin am Kiosk erhältlich war – also1996 – hat der Computer Deep Blue erstmals ein Spiel gegen den Schachmeister Garry Kasparow gewonnen. Seinerzeit war das eine Sensation. Macht euch der Gedanke an „intelligente“ Maschinen, die dem Menschen überlegen sein könnten, Angst?
stev: Solche Duelle sind schon sehr beeindruckend, doch letztendlich habe ich viel mehr Respekt vor dem Menschen der solche Höchstleistungen vollbringt als vor dem Computer. Ich glaube eigentlich nicht daran, dass Maschinen uns einmal ersetzen werden können. Je komplexer die Maschinen werden, desto mehr Probleme bekommen sie.
msh: So perfekt wie wir als Menschen funktionieren, haben es die Maschinen sehr schwer, hier wirklich gleich zu ziehen. Schachcomputer zum Beispiel probieren ja nur viele Möglichkeiten durch und bauen auf in einer Datenbank abgespeicherten Zugsfolgen auf. Sie rechnen äußerst schnell, aber die „Intelligenz“, die ihnen eingepflanzt wird, ist extrem primitiv und stammt ja ohnehin von einem Menschen.
stev: Ein Computer macht ja nichts was man ihm nicht sagt. Computer sind uns im Moment einfach noch um Lichtjahre unterlegen. Nein, vor zu viel maschineller Intelligenz habe ich keine Angst. Es ist eher die Angst vor menschlichen Fehlern.
 
Eure beiden Alben werden hauptsächlich in einer bestimmten Szene gehört, die eben auch vom Orkus bedient wird. Fühlt ihr euch dieser so genannten „schwarzen Szene“ in irgendeiner Weise zugehörig oder verbunden?
stev: Ja, eigentlich sehr. Unsere Texte sind großteils tiefschwarz würde ich mal sagen. Auch der Tod ist eine Art letzte Instanz. Solche düsteren Szenarien kommen in unseren Texten häufig vor. In unserer mind.in.a.box Story gibt es aber neben dem Tod noch zusätzliche Ebenen, das „Dreamweb“ ist sicher die wichtigste davon. Vielleicht eine Art Science Fiction der schwarzen Szene? :)
 
Im Zuge der Veröffentlichung eures ersten Albums viel des Öfteren der Begriff „Technopop“, der vor allem von Kraftwerk geprägt wurde. Kraftwerk haben mit ihrem Stück Autobahn echte Programmmusik gemacht, indem sie eine Autofahrt auf der A 555 von Köln nach Bonn – der ersten Autobahn in Deutschland überhaupt – vertonten. Seht ihr MIAB ebenfalls im Kontext der Programmmusik?
stev: Musikalisch gesehen gibt es da wohl schon Parallelen. Inhaltlich ist es aber doch ganz etwas anderes. Bei Kraftwerk steht für mich mehr die Technik, die Maschine an sich, im Vordergrund. Bei miab ist es der Mensch mit seinen Gefühlen. Es haben mir auch schon einige Leute gesagt, dass sie den Begriff Technopop für unsere Musik nicht wirklich treffend finden. Vielleicht passt hier Electropop doch besser, ich weiß es nicht. Man darf das mit Musiksparten auch nicht so eng sehen, denke ich.
 
Markus, du bist für die Texte zuständig. Wann hast du mit dem Schreiben angefangen? Würde es dich reizen, deine Phantasien in einem Buch festzuhalten?
msh: Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wann ich generell begonnen habe zu schreiben. Texte die explizit für Songs gedacht sind schreibe ich allerdings erst seit vielleicht sechs oder sieben Jahren. Die meisten Dinge, die ich schreibe, sind wissenschaftliche Publikationen auf dem Gebiet der Computergraphik. Momentan schreiben wir auch ein Fachbuch zu einem speziellen Thema aus diesem Bereich, das „Real-Time Volume Graphics“ heißt. Wir haben es gerade abgeschlossen, und es wird nächsten Sommer bei einem amerikanischen Verlag erscheinen. Ein allgemeines Buch würde mich auch einmal sehr reizen, momentan überlasse ich das aber lieber Leuten mit mehr Erfahrung. Ich finde es aber auf jeden Fall sehr erfüllend, etwas Kreatives statt etwas Fachlichem zu schreiben.
 
Was wollt ihr erreicht haben, wenn MIAB das zehnjährige Jubiläum begeht?
stev: Ich hoffe es lauschen auch nach 10 Jahren noch viele Leute unserer Musik. Und ich hoffe wir sind bis dahin beide „freie minds“. Die Antwort auf die Frage, die mich dann selbst interessieren würde lautet „Was passiert mit mind.in.a.box, wenn wir selbst nicht mehr „minds in a box“ sind?“ Aber wer weiß, vielleicht kommt es dazu gar nicht.
msh: Wir wollen einfach unsere Vorstellungen verwirklichen und uns konstant weiterentwickeln. Außerdem muss es natürlich ein Computerspiel, einen Roman und einen Film zu mind.in.a.box geben ;-) Nein, im Ernst, allem voran wollen wir unsere Geschichten erzählen und in erster Linie durch Musik ausdrücken.