mind.in.a.box interview:

mind.in.a.box - Interview for magazine 'Zillo 10/2007', Interviewer:'Marc Urban', about: 'Crossroads', Date: 2007-10-01
 
Link: Zillo 10/2007
 
Schein oder Nicht-Schein?

Je höher die Entwicklungsstufen der technischen Kommunikationsmittel, desto weniger kommuniziert der Mensch. Vielleicht ist diese These nicht ganz richtig, schon mit Recht bemerken aber unsere Eltern und Großeltern, dass die Form der Kommunikation immer unpersönlicher wird. Und Hand aufs Herz: Wer kann sich an seinen letzten, selbstverfassten, handgeschriebenen Brief erinnern? Der moderne Mensch lebt in Isolation. In einem technisch hochgerüsteten Glaskasten mit Wireless lan, Online-Banking und iPod. Die soziokulturellen Verwerfungen aus dieser lebensweise stehen gerade erst am Anfang ihrer Entwicklung, sie zu erfassen und zu examinieren, dürfte eines der spannenden Studienfelder der näheren Zukunft werden. Zwei Österreicher haben ihre musikalische Forschungarbeit zu diesem Thema bereits vor drei Jahren aufgenommen: Stefan Poiss und Markus Hadwiger sind selbst ein wenig mind.in.a.box, sicherheitshalber aber auch auf ihrem dritten Albem 'Crossroads' wieder in der Rolle eines imaginären Protagonisten geschlüpft.

Zillo: Das Bandkonzept von mind.in.a.box drehte sich auf den ersten beiden Alben um Isolation und den Versuch, daraus auszubrechen. Während sich euer erstes Werk 'Lost Alone' mehr der Ausweglosigkeit dieser Isolation annahm, unternahm der zweite Longplayer 'Dreamweb' schon die ersten Versuche des Ausbrechens. Ist 'Crossroads' der nächste Entwicklungsschritt dieser Genese?

Stefan: Für mich symbolisiert 'Crossroads' bzw. das Wort an sich in erster Linie die Situation des Protagonisten unserer fortlaufenden Story. Verfolgte er in 'Dreamweb' noch jene, die die Fähigkeit besitzen, in dieses 'Dreamweb' zu gelangen, beginnt er nun zu zweifeln, auf wessen Seite er eigentlich steht, und versucht, nun seine eigene Identität zu finden, sich selbst neu zu definieren. Im Wesentlichen ist 'Crossroads' sein Album. Mehr will ich hier noch nicht verraten. Identitätsverlust, wer man eigentlich selbst ist, wo man steht und wo man hin will, ist auch unser Hauptthema von 'Crossroads' .
Markus: Zusätzlich zu dieser Story kommen aber auch immer starke emotionale Aspekte und Themen hinzu, die für sich alleine stehen können. Doch auch in dieser Hinsicht ist 'Crossroads' die Fortsetzung von 'Dreamweb', sich Schritt für Schritt aus der Isolation von 'Lost Alone' zu lösen. Wo 'Dreamweb' für die Suche nach einer solchen Möglichkeit steht, teilweise auch noch im Unterbewussten, ist 'Crossroads' schon die definitive Realisierung, dass man immer eine Wahlmöglichkeit hat.
 
Zillo: Sind die besagten 'Crossroads', also die Wegkreuzungen, als Schnittpunkte zu verstehen, an denen der Protagonist anderen Menschen, anderen Verhaltensmustern, anderen Gedanken begegnet, die dann auch direkten Einfluss auf seinen weiteren eigenen Weg haben?
Stefan: Ja, unser Protagonist hat eine ziemlich schwierige Zeit. Er weiß weder, wer er selbst ist, noch, wo er hin will. Er beginnt seine Vergangenheit bzw. das, woran er sich noch erinnern kann, anzuzweifeln und stellt seine eigenen Prinzipien, für die er immer stand, für die er sogar arbeitete, in Frage. Man könnte sagen, er weiß nicht mehr, weiche Seite für Gut und welche für Böse steht. Das Albumcover symbolisiert das sehr schön, wie ich finde. Ich denke, mit der Story und den Bildern im Booklet wird nun auch einiges klarer. Endlich gibt es zu unseren Charakteren auch Gesichter. Daran lag mir selbst sehr viel, und unser Artworker Ingo Römling hat das hervorragend umgesetzt.
Markus: Für mich ist ein wesentlicher Teil des Konzepts von mind.in.a.box, zu sagen, dass man andere Menschen braucht, um aus einer Art Eingeschlossensein geistiger Natur auszubrechen. In dieser Hinsicht ist 'Crossroads' ein wichtiger Punkt auf diesem Weg, sozusagen die erste große Weggabelung, an der man realisiert, dass es notwendig ist, eine Entscheidung zu treffen, bzw. an der einem andere helfen, das zu realisieren.
 
Zillo: Lässt sich diese Thematik eigentlich beliebig fortsetzen? Oder wird der Punkt kommen, wo sich die Ausrichtung von mind.in.a.box ändern wird? Und müsste diese inhaltliche Veränderung dann zwingend auch eine musikalische nach sich ziehen?
Stefan: Das Ziel von mind.in.a.box wäre die Verschmelzung der Story mit der Wirklichkeit und würde einen Ausbruch aus 'der Box' bedeuten. Da wir als mind.in.a.box-Band nun in unserer eigenen Story vorkommen, stellt sich aber auch die Frage, ob wir uns mehr der Fiktion annähern oder die Fiktion der Realität. Vielleicht ist aber auch beides nicht so weit voneinander entfernt.
Musikalisch gesehen klingt 'Crossroads' wieder etwas mehr wie meine frühere Musik. Das nächste Album müsste von den Emotionen her z.B. deutlich aggressiver werden als dieses, ich kann aber selbst noch nicht einschätzen, wie es sich musikalisch gesehen verändern wird. In der Summe gesehen gibt es immer kleine musikalische Veränderungen, aber unser mind.in.a.box-Stil wird sich wohl nicht groß verändern. Wir haben innerhalb eines Albums auch immer eine ziemlich große musikalische Bandbreite, wie ich finde. Der letzte Song auf dem Album, 'Run For Your Life', stellt beispielsweise musikalisch und auch thematisch eine Überleitung zum nächsten Album dar, was aber nicht heißt, dass das nächste Album dann auch genau so klingen wird. Eher, wie es emotional rüberkommen wird. Einen wirklichen Stilbruch wird es mit mind.in.a.box aber voraussichtlich nie geben. Wir bleiben Elektroniker.
 
Zillo: Die ersten bei den Alben waren mit Kunstwörtern bzw. irrealen Begrifflichkeiten tituliert, die nicht zuletzt die Situation des Protagonisten erkennbar machen sollten: 'Lost Alone' und 'Dreamweb'. Soll der nun 'reale' Begriff 'Crossroads' auch den Übergang von einer Traumwelt in eine reale Welt darstellen?
Stefan: Klingt zwar genial, ist von uns aber nicht so geplant gewesen. Du hast aber auf jeden Fall recht, die Story findet dieses Mal hauptsächlich auf 'realem Boden' statt.
 
Zillo: Mit mind.in.a.box fahrt ihr ja eine Art trimediales Konzept: Musik, Erzählungen, Comic-Strip. Hat sich diese Konzeption eures Erachtens bewährt?
Stefan: Wir machen das einfach gerne. Markus und ich haben in unserer Vergangenheit ja an eigenen Computerspielen gearbeitet, die auch immer eine kleine Welt, eine kleine Story dargestellt haben. In gewisser Weise ist das mit mind.in.a.box eine Art Fortsetzung davon. Wir finden es einfach geil, an solchen Dingen zu arbeiten. Am liebsten würde ich auch an einem mind.in.a.box-Computerspiel arbeiten, aber das wäre heute alleine nicht mehr zu realisieren.
Markus: Ich denke, viele Leute finden es spannend, dass wir 'reine' Musik mit einer Hintergrundgeschichte verbinden. Mir persönlich gefällt es sehr gut, dass es zwei große Hauptinterpretationsmöglichkeiten unserer Musik gibt, nämlich die emotionale Ebene und die Story-Ebene. Und zu diesen verschiedenen Ebenen passen auch unterschiedliche Medien sehr gut, um sie darzustellen und zu vermitteln.
 
Zillo: Euer Label Dependent wird demnächst seine Pforten schließen. Letztlich nur eine von vielen Konsequenzen aus einer negativen Entwicklung, die seit einigen Jahren im Musikbusiness voranschreitet. Macht vor diesem Hintergrund das Veröffentlichen von Musik, in einem Bereich, in dem sich auch mind.in.a.box bewegt, heute und zukünftig überhaupt noch Sinn? Denn ganz abgesehen von monetären Gesichtspunkten, wird ja von vielen Bands einfach gar keine Notiz mehr genommen, weil allenfalls noch einzelne Lieder interessieren, aber gerade bei der jüngeren Generation die Zeit der Alben vorbei zu sein scheint.
Stefan: Es scheint in diese Richtung zu gehen, ich glaube aber, dass jene, die noch Geld für CDs ausgeben, die Albumidee schätzen und bevorzugen. Ich persönlich kaufe mir ohnehin lieber ein physikalisches Medium als nur reine Daten, denn dann stürzt das Ding ab, die Festplatte geht ein und man steht plötzlich ohne Musik da. Markus hat sich beispielsweise vor einiger Zeit das alte C64-Spiel 'Giana Sisters' für sein Handy gekauft und downgeloaded. Da konnte er nicht widerstehen. Als er das Handy wechselte, war es nicht möglich, das Spiel zu übertragen. So ähnlich sehe ich das auch mit MP3s: Kurzfristig sicher geil, aber auf längere Sicht verflüchtigt sich alles im Daten-Nirwana und wird maximal zu einem Bereich auf der Festplatte statt zu einem Platz im Regal. Das ist einfach nicht dasselbe. Wer weiß schon, wie sich das alles weiterentwickeln wird? Und wir können dies als Künstler ohnehin so gut wie nicht beeinflussen.